Mittwoch, 12. Dezember 2012

...Kapitel 17-20



17.Konrads Kinderangst
 
„Hängt es damit zusammen, dass ich so früh von meinen Eltern verstoßen, verlassen wurde, dass ich von der Todesangst gebeutelt werde?“ fragte der Kardinal. Sie saßen auf der Terasse, tranken den roten Wein von Aguamansa, naschten ein wenig Schinken und Käse. Sie bem bemerkten, dass sich eine dunkle Wolke näherte. „Es wird gleich regnen“, meinte der Kardinal. „Mag sein, aber ich glaube es nicht.“ Nach dem Verzehr der Forelle bei einem Täschen Cortado antwortete Viktor auf Konrad’s Anfangsfrage mit einer Gegenfrage: „Hast du dich als  stark mit dem Tod beschäftigt?“ – „Beschäftigen sich Kinder überhaupt mit dem Tod oder sogar stark mit dem Tod?“ Viktor nickte. „Kinder haben ein großes Interesse am Tod, sicherlich ein anderes Interesse als wir Erwachsene. Für Kinder ist der Tod ein Rätsel, das sie entweder verdrängen oder sie in eine Hilflosigkeit treiben läßt. Normale Kinder sprechen oft vom Tod  oder spielen ihn...“ – „Als Cowboy Kind im Kölner Karneval hatte ich eine Pistole mit der ich Leute „abknallte“ – „So nun hast du doch eine Erinnerung an den Tod, allerdings noch fern von der Realität. Nur Kinder, die das Sterben eines geliebten Menschen oder Tieres hautnah miterleben mußten oder selbst sterbenskrank sind, Leukämiekinder zum Bespiel), die sind näher an der Realität.“ – „Für mich war es ein Trost als Kind, dass die von mir totgschossenen Leute nicht tot umfielen.“ – „Was bedeutet: du hast den Tod verleugnet.“ – „Bestimmt! Der Tatsache des Todes wollte ich nicht ins Auge schauen.“ – „Du willst es bis heute noch nicht, dabei ist die Bejahung des Todes deine, unsere große Chance.“ – „Ich versteh dich immer noch nicht.“ – „NOCH nicht. Habe noch ein wenig Geduld.“ Konrad sah seinen Freund liebevoll und gedankenverloren an. „ Viktor, natürlich später in meinem Beruf habe ich mich oft gefragt, wohin die Gestorbenen gehen.“ – „Sie sind tot, also werden sie nicht gehen. Und du als hochranginger Theologe als Karinal, hast doch die Antwort dutzendfach gegeben: in den Himmel, heißt es so nebulös.“ Der Kardinal schwieg.Später auf der Rückfahrt nach Puerto sagte er leise: „Auch daran glaube ich schon lange nicht mehr.“ – „Wie viele andere deiner Glaubensbrüder  und Glaubensschwestern auch nicht. Dazu gibt es einen  netten Witz: Ein Pfarrer schlägt fühmorgens die Tageszeitung auf und liest seine eigene Todesanzeige. Er springt auf und ruft den Bischof an, um den Irrtum zu korrigieren: Hier ist Pfarrer Müller...  .... Stopp, Stopp! schreit der Bischof, von wo  rufen Sie an?“ Konrad und Viktor lachten und waren so nahe bei Gott.

 
18.Kinder und der Tod (1)

Sie  saßen auf der Terasse des Riehmschen Haus und schauten auf den Loro Parque und den Antlantik. „Noch als Jugendlicher, so mit 10,11 Jahren, so erinnere ich mich, habe ich nachts mit dem Kopf ganz dich und hautnah am Kopfende des Bettes gelegen, geschlafen  und den Rahmen gespürt, vielleicht weil ich dachte: wenn ich nicht mehr wachse (und daran sollte mich wohl das Brett im Bett hindern) werde ich auch nicht alt werden und nicht sterben müssen.“ Der Kardinal schwieg und fuhr dann fort: „Jetzt, es ist merkwürdig, fällt mir noch etwas zum Thema Tod ein. Als ich in diesem kirchlichen Internat war, ganz zu Anfang, da habe ich in meiner Verzweiflung laut in der Kirchge gebetet: Lieber Gott lass mich niemals sterben! Ich dachte, ich wäre allein im Gotteshaus, aber ich hörte jemanden laut lachen.“ –„Braucht Gott ein Haus?“ – „Mach dich nicht lustig über mich, Viktor.“ –„Entschuldige, bitte. Um auf dein Gebete zurückzukommen: es ist bekannt, dass viele viele Kinder jung bleiben wollen, da sie Altwerden mit dem Tod in Verbindung bringen. Ich glaube, dass der wichtigste Begriff im Zusammenhang mit dem Todesgedanken bei Kindern die Abwesenheit ist. Eltern verreisen oder geben Kinder zur Adoption frei etc. Konrad, schau dir dieses kleine Kind dort hinten am Eingang an, das Kind im Kinderwagen. Es hat schon mindestens viermal diese Puppe aus dem Kinderwagen geworfen. Der Vater hat sie aufgehoben. Nun macht es das Kind derneut. Weder Vater noch Mutter heben es auf. Das Kind wird nun zu weinen anfangen.“ – „Warum, weil es seinen Willen nicht erfüllt bekommt?“ – „Vielleicht, es könnte aber auch sein, dass das Kind  trainiert, die Abwesenheit zu ertragen, den Tod. Die Puppe fällt aus dem Kinderwagen, ist aus dem Blickfeld verschwunden und taucht durch die Hand des Vaters wieder auf, wie es viemal zuvor erlebt hat. Dass das Abwesende, wie die Eltern im Regelfall wieder auftaucht, bedeutet für das Kind, dass es den Tod, so wie wir Erwachsene ihn kennen, nicht gibt. Das Abwesende soll wieder erscheinen. Der Tote ist für das Kind nicht für immer verschwunden; er oder sie könnte wieder auftauchen.“ – „Diese Erklärung leuchtet mir ein. Bei mir im Internat wurde weder privat noch im Unterricht viel über den Tod geredet, selbst als wir Thornton Wilders „Death of a Salesman“  lasen ein. Vielleicht wollten sie uns schonen.“  - „Sie haben euch geschadet mit ihrem Schweigen. Was das Thema „Kind und Tod“ betrifft, fällt mir noch etwas ein, was mich und sicherlich auch dich betrifft, unsere Kindheit nämlich. Ich, der Viktor, hatte Angst vor Gespenstern oder vor Ungeheuern. Waum hatten wir, also du und ich, Angst? Weil wir aufgefressen oder geraubt werden könnten. Auffressen, das ist ein Todesgedanke. Geraubt werden, das ist der andere Tod durch das Verschwinden der Eltern. Deutlich wurde mir das, als ich Ursula Wölfels Geschichte „Der Nachtvogel“ las und wenn ich an meines geliebten Sohn Torsten denke, der als Kind Angst vor einem Krokodil unter seinem Bett hatte und partout in unserem Bett schlafen wollte, damals in der Zeit, als meine Ehe mit E. sich dem Ende entgegen neigte.“ – „Warum hast du dich getrennt, darf ich das fragen?“ – „Du arfst mich fragen, aber ich muß dir nicht antworten, weil ich das jetzt nicht will.“


  1. Death of a Salesman

Am Abend gingen sie zu Fuß vom Maritim die neue steile Straße hoch ins „Kloster“, dem wunderschönen auf dem Hügel liegenden Restaurant „Monasterio“. Sie bestellten einen Krug Bier,frisch gebackenes Brot und 2 Meter gebratene Wurst. „Kennst du das Schauspiel „Death of an Salesman?“ fragte der Kardinal. – „Ich habe es damals mit meinen Schülern in der Albert Schweizer Realschule auf Englisch gelesen und mindens zweimal im Theater auf Deutsch angeschaut. Ich mag den Titelhelden, den Willy Loman, sehr und auch die Botschaft des Stückes, die philosophische Botschaft, nicht die politische. Ich mag es, wie Willy sein Familie, seine Söhne, schüzen will, indem er das Thema Tod nicht direkt anspricht. Er kommt mir vor wie manche Eltern oder Erwachsene, die ihr Kind schonen wollen, um seine Ängste, den Tod betreffend nicht zu verstärken. Ihr Schweigen verstärkt aber im Gegenteil die Ängste des Kindes, weil es die Vermeidung spürt. Es unterdrückt nun das Thema Tod. und schleppt diese Ungewissheit bis in Alter mit sich rum, wie Du.“ – „Was hätte Willy Loman denn tun sollen?“ – „Nicht verdrängen oder verleugnen, nicht den Himmel oder Gott, die Auferstehung und das ewige Leben als Besänftigungsmöglichkeit ins Spiel bringen, sondern die Realität.“ -  „Und wie soll das geschehen?“  Vktor dachte lange nach, bevor er sprach: „Nun, zum Beispiel dadurch, zu erklären, dass der Tod ein Natugesetz, ein einheitlich gültiges und ganz und gar unpersönliches, ist, wie schon Piaget erklärte.“ – „Und das soll einem Kind helfen?“ Viktor nickte. „Auf jeden Fall hätte es dazu beigtragen, das Problem von Willy Loman zu reduzieren, seinen eigenen Umgang mit seinem Tod.“ Pause. „Laß mich überlegen. Ich werde versuchen, auf unserem Rückweg, Dir weitere Antworten zu geben. Nein, eine Antwort möchte ich dir jetzt schon geben: Ich glaube nämlich, das es nicht die finanziellen Sorgen von Willy allein waren, die ihn zur Selbsttötung – ich mag das Wort „Selbstmord“ nicht – führten, sondern dass er seinen Eros und seine Libido nicht unbeschwert ausleben konnte. Die Vereinigung eines Paares, jener unbeschwerte Eros, wo zwei eins werden und der Spaltung, der VerZWEIflung, dem ZWIEspalt entrinnnen können, die Herstellung unbeschwerter erotischer Situationen, das hat Wilder versäumt, als Möglichkeit gegen die Selbsttötung zu nennen.“  - „Ich kenne die Welt des Eros nicht, geschweige denn die Welt eines unbeschwerten Eros“, flüsterte der Kardinal, als sie das Kloster verließen und  zurück in ihr gegenwärtiges Zuhause schlenderten. Auf der Terasse saßen sie noch eine Zeitlang schweigend und betrachteten den Atlantik. Konrad schaute nach oben und entdeckte den Sternenhimmel. „Der Mond dort oben, wir können ihn gut sehen, und er schaut uns nun zu.“ „Nein, eben nicht, du Kind, das tut er nicht.“

 
  1. Kind und Tod (2)

„Konrad, ich weiß, dass du kein Kind bist, aber eben hast du wie ein Kind gesprochen, ein Kind, das wie viele kleine Kinder glaubt, der Mond (oder ein anderer toter Gegenstand) lebt. Der Mond kann nicht durch das Fenster hineinschauen. Das ist magisches Denken und Wünschen. Offensichtlich brauchen Kinder wie Erwachsene den Glauben an die Magie, wie Freud übrigens auch.“ – „Freud, der doch nicht!“ – „Doch auch Freud. Bleiben wir bei dir oder dem Denken von Kindern über den Tod.“- „Von mir aus“. – „Von mir aus – gerne?“ – „Nicht unbedingt gerne, aber es scheint jetzt sinnvoll zu sein.  Vermutlich habe ich den Gedanken damals verleugnet, aber es scheint nun der kairos gekommen  zu sein, diesen Teil meiner Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich kann mir vorstellen, dass es bei mir noch viele „Baustellen“ gibt.“ Viktor nickte. „Ja neben dem Thema Tod die Themen Freude, unbeschwerter Eros  und dein Gottesglaube.“ – „Nein! Um Gotteswillen! Bleiben wir zunächst bitte beim Thema Kind und Tod. Mich interessiert, wie es einem Kind gelingen soll, eine Beziehung zum Thema Tod zu finden.“ – „Jedes Kind hat doch schon eine Beziehung zum Tod; es denkt über den Tod nach, fürchtet sich vor ihm, hat eine gewisse Neugier, hat vielleicht schon einmal eine tote überfahrene Katze gesehen und baut magische Mechanismen auf, um eine Art Abwehr zu errichten .Erinnere dich doch an deine Kindheit zum Beispiel beim Karneval in Köln, das Ballern mit einer Spielzeugpistole.“ – „Ja, jetzt erinnere ich mich: ich habe mit der Zündplätzchenpistole auf einen Indianer oder Cowboy geschossen  und dann geschrien: Ich habe dich erwischt; du bist jetzt tot!“ – „Und wenn du jetzt daran denkst, was glaubst du, was du damals empfunden hast?“ – „Das weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, was ich jetzt empfinde, nämlich, dass ich damals schon eine Ahnung von der Tatsache des Todes hatte.“ – „Und heute, verleugnest du die Tatsache des Todes?“ Der Kardinal schwieg. Schließlich sagte er: „Als mein geliebtes Köln damals in Schutt und Asche gelegt wurde, da wußte ich, dass unter den eingestürzten Häusern Menschen lagen, die ihr Leben verloren hatten.“ – „Wie alt warst du damals? – „Fünf Jahre.“ – „Schon damals also konntest du unterscheiden zwischen dir selbst und deiner Umgebung.“ – „Ich hatte Angst vor dem Nichts, vermute ich“, antwortete der Kardinal. „Noch heute bin ich fasziniert von Zauberern, die Gegenstände verschwinden und wieder auftauchen lassen können“, ergänzte er seinen letzten Satz. Er fuhr fort: „Weißt du,lieber Viktor, dass ich mich an einen meiner ersten Kindheits-Sätze erinnern kann – vielleicht, weil er so oft in meiner Anwesenheit zitiert wurde: „Alles ist weg!“ – „Du meinst das Essen, das weg ist“.- „Nein, wenn der Stöpsel der Badewanne gezogen wurde oder mein Kot im Klo nach der Spülung verschwand.“ – „Empfindest du jetzt diesen Gedanken mit der Badewanne als Bedrohung? Bestimmt nicht. Schon damals hast du also gelernt, dass der Tod, das Nicht – Sein, keine Bedrohung ist, sondern zum Sein gehört.

Freitag, 12. Oktober 2012

.. Kapitel 6-16


6. Der Kardinal und der Tod (1)

 „Was denkst du über den Tod? Und was hast du als Kind über den Tod gedacht? Welche Erfahrungen hast du damals mit dem Tod gemacht?“ fragte Viktor. „Über meine Kindheit möchte ich lieber nicht sprechen, abgesehen davon, dass mir derTod in frühen Jahren kein sonderliches Thema war. Ich habe mich mit dem Tod damals nicht beschäftigt“, antwortete der Kardinal. „Das glaube ich nicht, denn du hast  doch deine Eltern verloren“. _ „Ja, sie sind verschwunden, aber zur damaligen Zeit waren sie vemutlich  nicht gestorben; vielleicht sind sie jetzt tot. Ich weiß es nicht, will es auch nicht wissen.“ – „Nun, dann sind sie mitten im Leben gestorben, aber dem Tod bist du als Kind auf andere Weise begegnet, dessen bin ich sicher.“ – „Wie kannst du dir sicher sein?“ – „Nun, jedes Kind begegnet dem Tod, nicht unbedingt dem Tod eines Elternteiles oder von Opa und Oma, aber ein Haustier könnte sterben, du siehst einen toten Wurm oder die Katze bringt eine getötete Maus...“ Der Kardinal schwieg und antworetet dann: „Ja, du hast Recht, Vikor, einmal brachte eine Katze eine tote Maus und legte sie vor die Tür des Priors, unseres Bilogielehrers. Er zeigte sie uns, sezierte sie sogar, um uns etwas zu demonstrieren. Ich war erschrocken, daran erinnere ich mich.  Laß uns aber jetzt das Thema beenden, es macht mir Angst und keine Hoffnung.“ – „Ich soll also nicht kratzen, wo es nicht juckt“; meinte Viktor. Der Kardinal überlegte und nickte dann. Viktor fuhr fort: „Das würde allerdings bedeuten, dass wir uns vom Thema deiner Heilung weit entfernen, denn der Tod ist das Thema Nummer 1 jeder Angst und damit auch dein Thema.“ Der Kardinal schwieg eine gute Zeit und meinte dann mit Resignation in der Stimme: „Nun gut, wenn es denn sein muß“. – „Wer sich dem Gedanken an den Tod freiwillig stellt, der findet den wahren Geschmack am Leben, sagte Seneca.“



7. Der Geschmack des Lebens

„Das mit dem „Geschmack am Leben“ habe ich ich noch nicht richtig verstanden,“  meinte der Kardinal. „Von Geburt an bist du auf dem Weg in den Tod. Das ist die Physik des Lebens.“ –„Bewußt zu leben, Geschmack am eigenen Leben zu finden im Wissen um den Tod ,ist ein Wissen, das köstlich ist, weil du dann nicht mitten im Leben stirbst, sondern erst dann, wenn dein Leben zu Ende gegangen ist. Sich dem Leben, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Liebe zu widmen, verhindert, dass Menschen sich im Namen Gottes töten.“- „Gott hat mit dem Töten nichts zu tun!“ – „O doch. In  Gottes Namen und auf seine Intitiative hin sind Milliardden von Menschen getötet worden, frührer und heute.“ – „Gott hat das Gebot verpflichtend gemacht, dass wir nicht töten dürfen.“ – „Das mag für die Juden untereinander gelten, aber schon die Nachbarvölker die Kanaanitäter wurden in seinem Namen brutal abgeschlachtet, Frauen wie Kinder und nicht nur Männer.“ – „Das glaube ich nicht.“ –„So steht es in der Bibel im Buch Josua. oder lies Michel Onfray*, Die einen sagen über sein kluges Buch, es sei ein Pamphlet, vielleicht wirst auch du es sagen; ich sage: es ist ein Geschenk auf den Weg, Geschmack am Leben zu finden.“ – „Ich will jetzt nicht mit dir über Gott reden!“ – „Nun gut, jetzt nicht. Über was sollen wir dann reden?“ – „Über das, was du den Geschmack des Lebens nennst.“ – „Also doch über Gott.“

„Mit dem „Geschmack des Lebens“ meine ic h. Das würde ich mit dem Begriff „Gott“ umschreiben. Dazu mußt du dich in deiner Gänze bejahen, wie James Bugental schon vor Jahren in seinen fünf Postulaten forderte.“ – „Was ist damit gemeint?“ – „Nun, du bist mehr als nur eine Teilfunktion, zum Beispiel Kardinal. Du bist auch Mann, bist Sehender, bist bewußter Konsument von Mahlzeiten und Büchern. Vor allem hast du Wahlmöglichkeiten. Du hast immer eine Wahlmöglichkeit, du mußt dann lernen, das, was du nicht gewählt hast,mit den möglichen Konsequenzen zu ertragen...“ – „Also wenn ich mich entscheide, kein Kardinal mehr zu sein, dann muß ich die Folgen meiner Wahl ertragen?“- „So ist es, denn jeder Mensch, auch du also, hat Zukunft und das bedeutet: Zweck zu haben, Werte zu besitzen, Sinn zu suchen., eine Wahlmöglichkeit zu haben und Entscheidungen zu treffen.““

8.  Wer bin ich?

„“Viktor, wer bin ich?“ – „Diese Frage kann ich nur dann als dein Therapeut beantworten, wenn ich deine private Welt, dein Werden, besser kenne.“ Der Kardinal schwieg und sprach dann langsam weiter: „Ja, das ist mein Problem: ich weiß vieles von mir, dem armen Konrad, nicht. Ich kann mich an nichts von früher erinnern, so sehr ich mich auch bemühe. Es scheint mir so zu gehen, wie jenem Mann, der mitten in der Nacht nach einem verlorenen Schlüssel suchte und zwar überall auf dem dunklen Weg, wo er ihn fallen ließ, aber wohl unter einer Laterne, wo das Licht besser ist, wo er aber den Schlüssel garantiert  nicht verloren hatte.“- „Dann laß uns einmal versuchen, gemeinsam im Dunklen zu suchen, wo du den Schlüssel wirklich verloren hast. Wir müssen noch einmal versuchen, uns dem Thema Tod und Kindheit zu nähern. “ – „Ich will aber nicht. Ich kann mich nicht an viel erinnern.“ – „Konrad, ich bin dein Therapeut. Ich will dir Hoffnung machen, ich will durch das Thema Tod die Hoffnung nicht zerstören. Das Thema Tod ist immer präsent und war es auch in deiner  Kindheit.“ – „Das Thema Tod macht mir Angst.“ – „Ja, so ist es, es ist wahrlich natürlich,dassTod und Angst zusammengehören. Montaigne behauptet sogar, dass uns die Idee des Todes retten kann.“ – „Das verstehe ich nicht.“ – „Ich möchte dir gerne beweisen, dass wir nur dann gut und wertvoll leben können, wenn wir den Tod akzeptieren. Wenn Tolstoi sagt, das Iwan Illich schlimm gestorben ist, weil er schlimm gelebt hat, dann gilt doch auch der Umkehrschluß, dass er gut gestorben wäre, wenn er gut gelebt hätte.“ -  „Ich bekomme die Krise, lass uns für heute aufhören.“ „Ja, wenn du willst, aber nimmt die Erkenntnis mit, dass das chinesische Piktogram für „Krise“ „Gefahr“ und auch „Gelegenheit“ bedeutet. Dazu möchte ich dir eine Begegenheit von früher erzählen.
9. Peter-Josua und die Überwindung der Todesangst

„Einmal durfte ich erleben wie jemand, der mir wähend meines Studiums sehr nahe stand, eine Krise, seinen Krebs, überwand. Er hieß Peter, aber wir nannten ihn Joshua, weil er alles über Jesus wußte oder zu wissen glaubte.. Peter-Joshua erzählte mir während einer kleinen privaten Feier, dass er seinen Krebs und seine Todesangst überwunden habe und sogar dadurch gewachsen sei. Er sei entscheidungsfreudiger geworden, habe den Spruch „Carpe diem“ für sich umgewandelt in: carpe momentum, er sei für die kleinen Dinge im Leben, Farben, Form, Geräusche, Begegnungen empfänglicherr geworden und habe die Liebe zu einem anderen Menschen gefunden, eine tiefe und beglückende Sexualität. Danach seien seine Ängste verschwunden, auch die Angst vor dem Tod. Er habe bewußt das Risiko gesucht. Er starb dann tatsächlich bei einer Klettertour in den Alpen. Tötlicher Sturz“ schloß der Kardinal. Viktor schwieg. „Sag etwas dazu“, forderte ihn der Kardinal auf. „Also auch du hattest eine Begegnung mit dem Tod“, sagte Viktor.“Wer denn nicht, Duzende sind gestorben während meiner Zeit als Priester, auch Bischofskollegen, aber kein Tod hat mich so sehr betroffen gemacht, wie der von Peter-Joshua“- „Warum hat er dich so betroffen gemacht, der Tod von Peter-Joshua?“ – „Vielleicht, weil mir zum ersten Mal in meinem Leben bewußt wurde, dass ich ihm irgendwann einmal ganz allein gegenübertreten muß. Ich habe Angst, dann zu versagen.“- „Wenn du jetzt an den Tod von Peter denkst, was geschieht dann in dir?“ – „Ich würde viel darum geben, wenn ich den Tod, nicht nur den von Peter, jetzt verdrängen könnte.. – „Tu’s nicht. Verdrängen kostet viel Lebensenergie.“ – „Ich will’s versuchen, aber der Tod bedeutet, dass ich verloren bin. Ich habe keine Nachkommen, in denen ich weiterlebe, ich verliere meine religiöse Feste im Glauben, weil ich mich von der Kirche entferne, hinterlasse kein künstlerisches Werk, in welchem ich weiterleben könnte. Mein Tod wäre ohne Bedeutung.“ – „Wovor hast du Angst Konrad?  Vor dem eventuellen Schmerz beim Sterben? Dass deine Pläne und Ideen sich nicht mehr verwirklichen können? Dass du jemandem Kummer verursachst?“ – „Da ist niemand, der wirklich um mich trauern würde.“ – „Doch, Konrad, lieber guter Mann, ich bin da. Ich wäre sehr traurig.“
                                                   

10. Woher die Angst kommt

„Viktor, und woher kommt die Angst? Ich meine, seit wann sprechen wir von Angst?“ – „Das weiß ich nicht genau, vielleicht kann es auch gar nicht genau definiert werden. Ich vermute: Menschen hatten immer Angst, und sei es vor einem heftigen Gewitter. Irgendwann haben Menschen dann entdeckt, dass ein Gewitter eine Naturerscheinung ist und kein Ergebnis von ohnmächtig machenden Gotteszorn.Die Menschen wurden klüger, sahen sich selbst als Schöpfer der Existenz, entdeckten auch den eigenen Willen – und entdeckten dann auch, dass Furcht etwas anderes ist als die Angst, entdeckten, dass man/frau die Furcht mit der Vernunft besiegbar ist, dass Furcht mit Hoffnung verbunden ist und die Angst eben nicht, weil sie nicht natürlich ist, sondern pathologisch ist, krank. Spinoza schreibt, dass auch Angst und nicht nur die Furcht auf einem Mangel an Erkenntnissen beruht und ein Zeichen von Schwäche ist.“ – „Also kann man, kann ich die Furcht und die Angst mit der  Willensstärke besiegen?“ – „Die Furcht auf jenden Fall, bei der Angst bin ich nicht so sicher. Spinoza meint auch eher die Furcht und nicht die Angst.“ – „Viktor, noch einmal, woher kommt die Angst?“ – „Ich glaube, sie kommt aus der Einsamkeit, der Isolation. Wer sich frei entscheiden kann und in guter Gemeinschaft lebt sowie selbstverantwortlich ist, der ist auch fern der Angst.“ – „Und wenn der Mensch in Unfreiheit lebt, isoliert ist und es ablehnt, selbstverantwortlich zu sein, der ist also dann von der Angst bedroht?“  - „Vermutlich ja. Da du,  lieber Konrad, gegenwärtig frei bist und selbstverantwortlich lebst,  ist die Angst kein Lebensthema für dich.“- „Doch, sowohl die Furcht wie die Angst.“

11. Furcht ist nicht Angst

Sie saßen noch in der Nacht zusammen. „ Wir beide, es ist wie damals in der Nacht: Peter-Josua und ich, als er sich öffnete“, sagte der Kardinal. „Nur dass ich damals nicht den Mut hatte, ihn zu fragen, wie er seine Angst erlebt und dann bewätigt hatte. Was soll ich tun oder lassen?“ – „Du solltest die beiden Worte „Furcht“ und „Angst“ nicht gleichsetzen. Kierkegaard hat uns schon vor über 100 Jahren vermittet, dass Furcht sich auf eine Sache oder eine Person bezieht, Angst dann eben vor keiner Sache oder Person.“ – „Also vor dem Nichts?“ – „Ja, genau so hat es der großartige Däne geschrieben: vor den Nichts, das mit dir als lebendiges Individuum nichts zu tun hat.“ – „Und wie soll ich die Angst vor dem Nichts bekämpfen?“ – „Damit sie zu einer Furcht wird, die du als Sache oder Person bekämpfen kannst?“ - Der Karinal nickte. „Nun, indem du sie von nichts zu etwas verlagerst, wie Yalom schreibt oder wie es auch Rollo May empfiehlt.“ – „Ich habe Angst vor meiner Hilflosigkeit. Wie soll ich meine Hilflosigkeit in eine Furcht verwandeln können?“ – „Du könntest Strategien entwickeln, das was du fürchtest zu vermeiden oder Verbündete suchen oder ein Ritual entwickeln, um dich von ihr zu säubern, sie zum Beispiel ausräuchern oder sie verleugnen, sie sublimieren. „ – „Ich möchte fliehen, aber wohin?“ – „Die Angst wird dich begleiten.“ – „Du meinst, ich brauche einen anderen Begleiter?“ – „Ja, eine gute Frau zum Beispiel.“ – „Und dann würde mir die Angst nichts mehr bedeuten?“ – „ Ja, vielleicht.“ – „Aber der Tod wird bleiben? – „Natürlich. Und erneut ein vielleicht: dann würde dir irgendwann der Tod nichts mehr bedeuten, wie Lukrez von 2000 Jahren bereits schrieb. Dann bist du frei, wenn du so denken kannst.“ – „Manchmal träume ich von einer Frau, die ich geliebt habe, die mich verlassen hat. Und dann träumte ich, dass ich sie immer noch liebe und begehre. Dann fühle ich mich im Traum wohl. Sie existiert im Traum einfach weiter.“ – „Das ist ein guter Schritt in Richung Angstbewältigung und dem Verlust der Todesangst.“


12.   Die Furcht, die Angst, Rumpelstilzchen und der Tod

„Ich habe einmal ein Gedicht geschrieben“, begann Viktor. „Es lautet: Je näher du dem Ziel kommst, desto eher entdeckst du, dass du gar nicht ankommen willst.“ -„Ich habe eine ähnliche Angst, vielleicht eine gegensätzliche: Ich habe Angst zu versagen und deshalb kann ich nicht zum Beispiel mit einer Predigt fertig werden. Ich habe angefangen, ein Bild zu malen und habe viele andere Entwürfe für neue Bilder im Kopf. Aber ich kann das erste einfach nicht fertiggestalten.“ – „Fang ein neues und ein drittes an!“ – „Das kann ich nicht.“ – „Noch nicht. Es würde deine Todesangst mildern, wie Joyce schreibt.“ – „Meine Angst, meine Todesangst, wird mich ein Leben lang begleiten.“  - „Stimmt, aber auf keinen Fall länger.“ –„Mach dich nicht bei diesem Thema lustig über mich!   Hilf mir lieber, diese Angst zu verlieren. Was soll ich machen?“- Nun, wenn Angst dich bedroht, weil du dich vor der Hilflosigkeit fürchtest, dann mach die Angst zu einer Furcht, damit sie von einem Unbestimmten zu etwas Konkretem wird. Dann kannst du das, was du konkret fürchtest, vermeiden, Verbündete suchen oder kämpfen, weil du einen Gegner hast.“- „Viktor, ich verstehe dich nicht.“ – Dann will ich es an einem Beispiel versuchen. Du kennst das Märchen vom Rumpelstilzchen. Der Bösewicht war nur so lange bedrohlich, als man seinen Namen nicht aussprechen konnte. Als das aber gelang, da war die Gefahr gebannt.“ - „ Jetzt verstehe ich dich, aber ich habe immer noch Angst. Mitlerweile traue ich mich noch nicht einmal, in einen Fahrstuhl zu steigen. Ich habe Angst, dass ich verfolgt, beobachtet, belauscht werde.“ – „Konrad, zweifelsohne ist die Welt gefährlich, besonders, wenn du keine Heimat hast. Kein Ort, nirgendwo. Aber das stimmt nicht. Hier bei mir bist du zu Hause, wenigstens in den Zeiten unserer Gespräche.“ – „Hilf mir, bitte!“ – „Vielleicht hilft dir der Satz von Kierkegaard, dass ein Wagnis Angst hervorruft, aber nichts zu wagen bedeutet den Verlust deiner selbst oder den Satz von Lukrez: „Wo du bist, ist der Tod nicht; wo der Tod ist, bist du nicht“. Also muß dir der Tod nichts bedeuten.“ – „Wenn ich sterbe, wer wird um mich trauern, wer außer du?“

 3. Die Angst vor dem Versagen

„Ich habe Angst vor dem Versagen. Ich habe vor so vielem Angst, mittlerweile auch vor dem Fliegen, obwohl ich vor nicht langer Zeit nicht genug davon haben konnte. Starten und Landen waren für mich wonnevolle Ereignisse. Und nun befürchte ich, dass du und ich unsere geplante Reise nach Tenriffa nicht antreten können, weil ich so viel Angst habe...“ – „Vor dem Versagen?“ – „Sagte ich doch: ich habe Angst vor dem Versagen“ – „Nur nebenbei: du fliegst die Maschine nicht, ein anderer könnte versagen.“ – „Das weiß ich selber, ändert aber nichts an meiner Angst.“ – „Yalom berichtet von einer Frau, die genau deine Worte benutzte, weil sie Angst vor dem Versagen hatte. Die Frau, ähnlich wie du, hatte eine lange Erfolgskarriere hinter sich und glaubte nun, dass der Erfolg ein Ende habe, weil keine neuen Ziele mehr da sind....“ –„Wie bei mir...“ – „Nein eben nicht wie bei dir. Du hast Ziele, zum Beispiel das Zusammenleben, das intime und auch sexuelle Zusammenleben mit einer Frau.“  -„ Du kommst immer wieder auf  dieses Thema zurück. Das ist doch nicht vergleichbar mit dem Stichwort „Karriereleiter“! Meine katholische Karriere ist zu Ende. Ich kann nichts mehr werden.“ -“Du könntest Papst werden oder sogar Gott.“ – „Mach keine Späße mit Gott!“ – „Nun ja, einer unserer Jungs hat es bereits geschafft“, erzählt ein jüdischer Witz. Aber bleiben wir zunächst einmal beim Stichwort “Angst vor dem Versagen“. In dir ist er große Wunsch, geliebt zu werden, zu verschmelzen und als Kardinal berühmt in die Ewigkeit einzugehen. Beides ist möglich und erreichbar: die Liebe und das Berühmtsein, weil es meines Wissens seit Jahrzehnen keinen Kardinal gab, der um der Liebe willen einfach aufhörte Kardinal im Amt zu sein.“ Der Kardinal schüttelte den Kopf. „Ich habe Angst, erneut zu versagen. Sei’s drum! Komm, ruf im Reisebüro an und buche die Reise nach Teneriffa.“- „Gerne, dort können wir eine Woche lang spazierengehen, reden, schweigen, genießen, uns des Lebens erfreuen und dessen Sinn erkunden.“

  1. Auf Teneriffa (1): Der Kiefernwald von Aguamansa

Viktor zeigte dem Kardinal die Orgelpfeifen (Los Organos) und erklärte: „Diese Felsformation hatte keine Wahl. Der Vulkan hat sie aus dem Meer nach oben gedrückt und so eindrucksvoll geformt. Los Organos unterscheiden sich gewaltig von dir, denn du hast, so lange du lebst, eine Wahl: Sich eine Geliebte zu suchen oder nicht, Kardinal  und im Amt zu bleiben oder eben nicht.Triff eine Wahl, um dem Druck und der Angst zu entkommen. Die Entscheidung, keine Wahl zu treffen, wird dir letztendlich schaden“. – „Darüber möchte ich jetzt mit dir nicht reden. Meine Frage lautet hier in dieser wahrlich schönen Umgebung: warum wird meine Angst sozusagen von Tag zu Tag größer?“ – „Ich will dich nicht provozieren, lieber Freund, aber es liegt auch daran, dass du dich nicht entscheiden willst...“ -...“kann“ ergänzte der Kardinal. „Von mir aus: kannst, Um deine Frage nach dem warum zu beantworten: vielleicht liegt es an einem Urerlebnis aus deiner Jugend. Menschen, die ein oder beide Elternteile durch den Tod oder ein Verschwinden der Eltern verloren haben, sind stärker von der Angst gebeutelt als andere.“ – „Mag sein, aber was soll ich gegen diese Todesangst tun?“ – „Wenn sie kommt, dann nimm sie wahr, begrüße sie mit den Worten: Angst, du bist da, aber du bist mir jetzt nicht willkommen. Verdräng sie nicht! Registriere sie und verabschiede dich bewußt von ihr.“ – „Ich soll sie verdrängen?“ – „Eben nicht.  Verdrängen würde bedeuten, dass du ihr eine Macht in deinem Unterbewußten oder Unbewußten gibst. Statt verdrängen würde ich lieber sagen: wahrnehmen und auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Aktiviere deine Lebensenergien, dein Sehen und Riechen. Schau dir die Kiefern an auf diesem wundersamen Weg hinunter nach Aguamansa, die Flechten in den Kiefern, welche die Aufnahmefähigkeit für das Anzapfen der Passatwole in der Nacht vergrößern, eben weil sie die Oberfläche der Kiefer vergrößern.“

Sie erreichten eine kleine Schutzhütte. „Laß uns pausieren, eine kanarische Banane essen und etwas von dem wunderbaren Wasser trinken, das ich eben aus der Wasserleitung entnommen habe. Das Wasser kommt von oben, ist tausende von Jahren alt. Teneriffa hat nämlich kein Grundwasser, ein Wasser, welches  bei uns in Deutschland  oft verschmutzt ist.“

15. In der Schutzhütte „El Tope“

Es hatte zu regnen begonnen. „Da haben wir aber Glück gehabt, jetzt ein Dach über dem Kopf zu finden“, sagte der Kardinal und ergänzte: „Und ich dachte, hier würde immer die Sonne scheinen!“ – „Es wäre nicht so grün hier im Norden der Insel, gäbe es den Regen nicht. Abgesehen von der Feuchtigkeit, ist der Regen hier in dieser klaren Luft wunderbar für Haut und Haare. Und was deine Todesangst betrifft: wenn du dich den Lebensaktivitäten verschließt, wirst du mehr und mehr Todesangst bekommen. Je mehr du dich fürchtest, desto mehr besteht die Gefahr, neurotisch zu werden.“ – „Und was bedeuten deine Worte?“ – „Nimm den Gedanken des Todes mit in dein Leben, verdränge den Gedanken nicht, such dir einen Lebenszweck, einen Lebenssinn, um authentisch zu leben, als Konrad und nicht als ein fliehender Kardinal.“ – „Ich soll vor meiner Todesfurcht fliehen?“ – „Nein, nicht fliehen, sondern den Tod als Lebenspartner willkommen heißen, ihn registrieren und dann ihm mitteilen, dass du ihn bemerkt hast, aber ihn jetzt wegen deiner Aktivitäten nicht brauchst, weil er jetzt stört.“ – „Ich soll ihn also verleugnen?“ – „Genau das nicht!.“

Sie schwiegen. Der Regen hatte aufgehört. Sie standen auf, von der Sonne umschmeichelt. „Dahinten, sieh, der Teide. Wir werden auch dort einen Spaziergang machen. Nun laß uns hinter der Hütte links den Weg runtergehen in die Kulturlandschaft. Aber gib acht! Der Weg ist für ein kleines Stück steil und vom Regenwasser zerfurcht. Wenn wir dann links abgeboen sind, nachdem wir  das Teilstück hinter uns gebracht haben, können wir auf dem ebenen Waldpfad weiterreden.

Mittwoch, 8. August 2012

Probelesen meines neuen Buches Viktor Vauh und der Sinn des Lebens, Kapitel 1-3, von 66


Dieter Strecker
Viktor Vauh und der Sinn des Lebens

 Teil 5 der Viktor Vauh Saga

 

c: 2012

 
Vorwort:

Das Buch von Irvin D.Yalom: Existentielle Psychotherapie ist so wichtig für alle Menschen, dass ich mich entschlossen habe, wesentliche Erkenntnisse literarisch als Erzählung darzustellen. Aus diesem Grund verwende ich viele Gedanken, ohne sie nach wissenschaftlichen Kriterien mit Seitenzahl zu zitieren.




Überblick der Kapitel 1 – 9

  1. Viktor und sein neuer Lehrer Yalom
  2. Viktor als „Anti-Freud“ (1)
  3. Viktor als „Anti-Freud“ (2)
  4. Der Beruf des Therapeuten (1)
  5. Der Beruf des Therapeuten (2)
  6. Der Kardinal und der Tod (1)
  7. Der Geschmack des Lebens
  8. Wer bin ich?
  9. Peter Joshua und die Überwindung der Todesangst






Kapitelübersicht: 10-15


  1.  Woher die Angst kommt
  2.  Furcht ist nicht Angst
  3.  Die Furcht, die Angst, Rumpelstilzchen und der Tod
  4.  Die Angst vor dem Versagen
  5.  Auf Teneriffa (1): Im Kiefernwald von Aguamansa
  6.  In der Schutzhütte „El Tope“


 

1. Viktor und sein neuer Lehrer: Yalom

Monate später besuchte der Kardinal  Viktor auf seinem Hausboot am Rhein. Sie saßen auf dem Deck und beobachteten das gegenüberliegende Ufer in Oberkassel. „Ich freue mich, dass du wieder sehen kannst, wenn es auch nur wenig zu sein scheint, Viktor.“ - „Konrad, das wenige ist mehr als ausreichend, es ist befriedigend.“ -„Möchtest du mir erzählen, was in den USA mit dir gemacht wurde?“ – „Nein, das ist der Rede nicht wert. Wichtiger ist, was ich mit mir gemacht habe.“  Mit seinem Schweigen deutete der Kardinal an, Viktor möge fortfahren. „Nun, ich habe mich von einem Irrtum befreit, nämlich mich als Freudianer zu bezeichnen. Freud begleitet mich immer noch, aber ich habe durch ein Buch erkannt*, dass er nicht der Mensch ist, der mich fürderhin als Therapeut und Mensch begleiten soll. Als Vorbild fühle ich mich Yalom**verbunden, der mir – nun im übertragenen Sinne – die Augen geöffnet hat.“ „Und warum nicht mehr Freud, auf den du doch so große Stücke gehalten hast?“




2. Viktor als „Anti-Freud“ (1)




„“Freud hat mir eine Fülle von Erkenntnissen und Hilfen geschenkt. Dafür bin ich wahrlich dankbar. Aber schon seit den Jahren als Professor in nn suchte ich vergebens nach einer Bestätigung meines Ansatzes, nämlich den Patienten dort abzuholen, wo er sich befindet (und nicht dort, wo ich ihn haben will) und die Wichtigkeit der Hilfsverben  in dem Axiom: Ich zeige dir den Weg, den du gehen kannst, darfst/sollst/mußt/könntest. Ich verneine nicht seine großen und hilfreichen Erkenntnisse, die bis in meine Jugend hinein nicht gesagt wurden, weder in der Schule, noch in der Kirche und schon gar nicht bei meinen Eltern, wie zum Beispiel: Kinder haben Sexualität, oder Homosexualität und Masturbation sind gut. Hilfreich für mich war die Erkenntnis, dass Körper und Geist nicht getrennt werden dürfen, was ja sinnvollerweise in der Medizin zu dem Fachbegriff „Psychosomatik“ führte, also der Erkenntnis, dass körperliche Erkrankungen seelische Ursachen haben können. Oder die heilende Kraft des Sprechens, die ja gerade du in deiner Situation mit mir als wohltuend erfährst.“ – „Ja, Viktor, das stimmt.Aber warum nun dein Abfall von Freud?“ *


 
3. Viktor als „Anti –Freud“ (2)

„Ich bin nicht völlig von Freud abgefallen und habe mich schnurstracks in die Arme von Yalom begeben. Ich sehe nun manches mit anderen Augen bei ihm. Erst jetzt nach der Lektüre bei Onfrey habe ich mein Unbehagen während der Lektüre seiner Fälle wieder entdeckt, ein Unbehagen, welches ich schon früher gespürt hatte, aber nicht wahrhaben wollte.“ – „Unbehagen? Welches Unbehagen?“ – „Menschen suchten bei ihm Heilung. Aber er war nicht interesssiert an den Menschen-. sondern an der Durchsetzung seiner Theorie. Was seine Patienten betraf, sprach er sogar von Gesindel“. – „Das glaube ich nicht!“  - „Doch, das darfst du glauben. Er hat es gegenüber seinem Kollegen Sandor Ferenczi ** geäußert. Und was mich schon damals irritierte, dass sein berühmter Fall, der „Wolfsmann“, 60 Jahre lang sein Patient war. 60 Jahre! Das muß doch schneller gehen, damit noch Leben in das Alter nach der Heilung kommt. Und bei Emma Eckstein hat er einen schweren Fehler gemacht.“ – „Die hysterische Frau mit den dauernden Blutungen?“ – „Das mit den Blutungen stimmt, aber nicht die Hysterie. Oder ihre erotischen Wünsche ihm, Freud, gegenüber. Die wahren Ursachen waren gutartige Tumore bei Frau Eckstein, was der große Guru aber bis 1937 nicht wahrhaben wollte. Gewiß: Freud hat die Trennung von Körper und Geist überwunden und hat segensreich darauf hingewiesen, dass seelische Krankheiten körperliche Ursachen haben,“ – „Diesen Verdienst darf man auch nicht schmälern.“ – „Wer ist „man“?“ – „Kannst selbst du nicht schmälern.“ insistierte der Kardinal. – „Will ich auch nicht. Dass es eine Seele und das Unbewußte gibt, das hat er  mit Recht und Erfolg in gewissen Kreisen Wiens zum Thema gemacht. Die  Wiener in diesen Kreisen waren offen für das Mysthische. Und er hat viel Geld mit dem Ganzen gemacht, wie dem Ödipus-Komplex. Ödipus mußte für alles Mögliche herhalten, vom Durchfall bis zum Muttersönchen-Verhalten. Und er hat Geld damit verdienst, weil er Geld brauchte.“ – „Er war doch reich!“ – „Auch reiche Leute mit einer 15  Zimmer Villa, 6 Kindern, Frau, Haushaltshilfen kosten viel Geld. Er nahm übrigens pro Stunde von den reichen gutgläubigen Patienen bis zu 450 € pro Sitzung. Ich will ihm zugute halten, dass er später ein Teil seiner abstrusen Theorien revidierte oder nicht mehr erwähnte.“ – „Aber er entdeckte die seelische Krankheit!“ – „Nein, hat Kolumbus Amerika entdeckt, er allein? Gab es nicht die Normannen, die vorher da waren? Freud liebte Legenden, die für ihn und seinen Größenwahn nützlich waren.“ Der Kardinal schwieg.

Viktor fuhr fort: „Was mich auf psychologischer Ebene sehend gemacht hat, war die Beschäftigung mit Irvin D. Yalom, den ich schon Jahre zuvor in den USA kennenlernen durfte und dessen Hauptwerk ich nun las beziehungsweise vorgelesen bekam: Existentiele Psychotherapie. Davon möchte ich dir jetzt berichten. Die Gedanken werden dir gefallen und helfen.“

.....weitere Kapitel, 4+5


4.Der Beruf des Therapeuten (1)

 „Zunächst also einige Grundgedanken über den Beruf des Therapeuten:Der Patient sucht vielleicht in seiner Krise sinnvolle Wege, die ihn aus der Krise herausführen mögen. Ob diese Wege partout richtig sind oder falsch, darf der Therapeut in der Regel nicht beurteilen. Wohin der Weg auch gehen mag: der Therapeut muß vor allem begleiten, aber er darf auch vorsichtig mahnen, wenn er den Weg für gefährlich und nicht hilfreich hält. Damit ist die Wichtigkeit einer interaktiven Beziehung zwischen Patient und Therapeut als Basis herausgestellt: Therapie darf nie und nimmer theoriegesteuert sein, sondern beziehungsgesteuert.“ – „Aber Menschen gehen doch auch deswegen zum Therapeuten, weil dieser einer bestimmt Theorie anhängt, zum Tiefenpsychologen beispielsweise.“ – „Wer nur diesen theoretischen Weg folgt, verliert  den Menschen, den er begleiten möchte.“ – „Aber es muß doch eine Distanz zwischen Therpeut und Patient geben!“  „Muß es das wirkklich angesichts der Tatsache, dass Therapeut und Patient mit den gleichen Lebenstatsachen konfrontiert sind, mit dem Tod zum Beispiel oder dem Gedanken der Schuld. Und was die Schuld betrifft, so müssen Patient und Therapeut sehr vorsichtig mit dem Begriff sein, denn Schuld hat mit Absicht zu tun. Und wer will denn absichtlich sich oder einem anderen Menschen schaden. Bleiben wir bei der Parallele zwischen Arzt und Patient. Da sie mit denselben Lebenstatsachen konfrontiert sind, sind sie Reisegefährten (Yalom) oder Weggefährten.“

„Du nennst dich einen existentiellen Therapeuten. Der Begriff stammt nicht von dir, nicht wahr? – „Den Begriff habe ich von Yalom übernomen, weil ich mich nicht wie Freud auf die Vergangenheit und die Mängel und Defizite dieser Zeit konzentriere....“ – „Aber die sind doch so wichtig!“ – „Sie sind wichtig, aber nicht so sehr. Wichtiger sind die Gegebenheiten des Jetzt, die jetzige Situation des Patienten. Und heilend ist die Beziehung zum Therapeuten, der durch Nähe, Empathie dem Patienten begegnet, um dessen Sinnverlust  und Lähmungen, zum Beispiel bei Entscheidungen,zu heilen. Noch enmal: Heilen muß er oder sie sich selbst, aber er oder sie dürfen vom Therapeuten auf deren Weg nicht allein gelassen werden.“ – „Der Therapeut als Mutter oder Vater, und der Patient als Kind?“ – „Von mir aus in diesen Worten, denn es geht um das Sicherheitsbedürfnis, es geht um Angst-Reduzierung, es geht um Akzeptanz und Sicherheit.“

 5. Der Beruf des Therapeuten (2)

 „Du kannst als Therapeut nicht alle Konflikte oder Konfrontationen eines Patienten lösen. „ _ „Da magst du Recht haben, wobei ich weiß, dass ich das nicht kann. Aber um möglichst viele Konflikte zu lösen. muß ich möglichst viel wissen, muß wieder und wieder nachdenken über meine Grenzen und Möglichkeiten, so bescheiden letztere auch sein mögen. Nach Yalom bedeutet das, Kenntnis über die „letzten Dinge“ zu haben als da wären: Tod, Freiheit, Isolation, Sinnlosigkeit.“ – „Und die Angst?“- „Sie scheint dein  und mein großes Thema zu sein. Sie bestimmt unser Leben mehr und stärker als unsere Instinkte. Ansonsten wird unsere Zukunft zur Vergangenheit und nicht zur Gegenwart. Letztlich geht es um die Wahrheit, so schmerzhaft sie sein mag, und nicht um Verdrängung.“- „Das kann dazu führen, dass du verrückt wirst, wenn du dich permanent mit  den schrecklichen existentiellen Dingen wie der Angst beschäftigst.“ – „Don Quichote fragte einmal: „Welches von beiden möchtest du haben: weise Verrücktheit oder närrische Gesundheit?“ Der Kardinal schwieg. Viktor erklärte: „Den Schmerz mußt du als Therapeut aushalten, wenn du dich mit den Folgen oder Gegebenheiten der Existenz beschäftigst. Aber es macht dich gesund und den Patienten letztlich auch. Nur die Wahrheit hilft, was bedeutet, dass du auch das Schlimmste betrachten und zu verstehen versuchen mußt.“ – Der Kardinal schwieg erneut und meinte dann leise mehr zu sich denn zu Viktor sprechend: „Das Wort „müssen“ habe ich bisher in Bereich der katholischen Kirche angesiedelt und nicht in der Therapie.“  Viktor schmunzelte und antwortete: „Ein guter kirchlicher Seelsorger ist immer auch ein guter Therapeut und ein wirklich guter Therapeut weiß, dass er oder sie den Menschen ermutigen muß, sich der eigenen Existenz zu stellen, diese anzuschauen, auch wenn das Resultat der Betrachtung zunächst ein schrecklicher Anblick ist.“- „Aber lieber Viktor, du nimmst dem Menschen, dem Patienten, seine Wahlmöglichkeit. Er oder sie könnte seine Probleme nicht anschauen wollen.“ – „Ja, das könnte er, aber wenn er zu mir kommt, dann akzeptiere ich ihm diese Wahlmöglichkeit nicht, auch weil die Verweigerung der Wahlmöglichkeit auch eine Wahl ist.  Ein Mensch, der gute Zwecke verfolgt, wert – und sinnvoll leben möchte, verirrt sich nicht in meine Praxis oder ich verweigere ihm das Gespräch mit mir.“ – „Wer soll denn in deine Praxis kommen?“ - „Menschen wie du, Menschen, die akzeptieren, dass ein existentieller Therapeut nicht nach den Abweichungen von den Normen in dieser ver – rückten Welt fragt, sondern nach seiner privaten Welt und Existenz.“